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Sexueller Missbrauch: Rente für Vergewaltigungsopfer nach „Deal“ zugunsten des Täters im Strafverfahren

Datum: 18.12.2017

Kurzbeschreibung: Ein gesetzeskonformer „Deal“ im Strafverfahren zugunsten eines Straftäters kann für das Opfer einer Gewalttat als weiteres traumatisierendes Erlebnis eine Gesundheitsstörung auslösen, die als Folgeschaden der Tat anzuerkennen ist. Mit dieser Begründung haben die Richterinnen und Richter des Landessozialgerichts Baden-Württemberg einem Vergewaltigungsopfer eine Rente nach dem Opferentschädigungsgesetz zugesprochen.
 
Urteil vom 07.12.2017, Aktenzeichen L 6 VG 6/17

Die zum Tatzeitpunkt 31jährige Klägerin litt bereits seit längerer Zeit an einer psychischen Erkrankung, als sie im Oktober 2010 in Ludwigsburg nachts auf dem Heimweg von einer Gaststätte vergewaltigt wurde. Der Täter nutzte dabei einen Asthma-Anfall der Frau aus, um ihren Widerstand zu brechen. Sie litt in der Folge unter Angstzuständen und Panikattacken. Medizinische Sachverständige diagnostizierten eine posttraumatische Belastungsstörung und einen Grad der Schädigung (GdS) von 20, was beides vom Landesversorgungsamt auch anerkannt wurde.

 

Der Täter legte ein Geständnis ab und wurde im April 2011 im Strafverfahren aufgrund eines rechtlich zulässigen sog. „Deals“ wegen schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren auf Bewährung verurteilt. Im Zuge und aufgrund der Erfahrungen im Strafprozess verschlechterte sich der Gesundheitszustand der Klägerin. Mittlerweile ist sie erwerbsgemindert und lebt in einer betreuten Wohngruppe.

 

Eine Rentengewährung nach dem Opferentschädigungsgesetz wurde vom Landesversorgungsamt abgelehnt, da die durch die Gewalttat verursachten Schädigungen nicht das dafür erforderliche Maß (GdS von 30) erreichten. Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Die Frau hatte geltend gemacht, durch die Strafverhandlung erneut traumatisiert worden zu sein. Dass sie im Gerichtsverfahren nicht angehört worden sei und der Täter nach dem Deal das Gericht quasi als „freier Mann“ habe verlassen können (der Täter wurde nach dem Prozess aus der Untersuchungshaft auf Bewährung freigelassen), habe einen Folgeschaden verursacht.

 

Die Richterinnen und Richter des Landessozialgerichts haben der Klägerin Recht gegeben, die erstinstanzliche Entscheidung geändert und das Landesversorgungsamt verurteilt, ihr eine Beschädigtenrente nach einem GdS von 30 zu zahlen, da es durch die für das Opfer demütigenden Erlebnisse im Strafverfahren zu einer Verstärkung der posttraumatischen Belastungsstörung gekommen ist, wie medizinische Sachverständige bestätigt haben. Der Deal zugunsten des Täters, der das Gericht als freier Mann verlassen konnte und die fehlende Aufarbeitung und Genugtuung für das Opfer, das im Strafverfahren nicht einmal angehört wurde, obwohl dortige Gutachter ihr Aussagefähigkeit bescheinigt hatten, sind für die hinzugetretene Verschlechterung des Gesundheitszustands verantwortlich, haben die Richterinnen und Richter des 6. Senats des Landessozialgerichts ausgeführt. Der erforderliche Ursachenzusammenhang (Kausalität) liegt vor, denn ohne die Vergewaltigung wäre es nicht zu den sich anschließenden weiteren traumatisierenden Erlebnissen im Strafprozess gekommen. Diese Bewertung erfolgt nach sozialrechtlichen Maßstäben, losgelöst vom Strafverfahren.

 

Rechtsgrundlagen

 

§ 1 Absatz 1 Satz 1 Opferentschädigungsgesetz:

Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes.

 

§ 9 Absatz 1 Nr. 3 Bundesversorgungsgesetz (BVG)

Die Versorgung umfasst ...

3. Beschädigtenrente (§§ 29 bis 34) und Pflegezulage (§ 35),

 

§ 30 Absatz 1 Sätze 1-3 BVG

Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten.

 

§ 31 Absatz 1 BVG:

Beschädigte erhalten eine monatliche Grundrente bei einem Grad der Schädigungsfolgen

von 30          in Höhe von 141 Euro,


Dr. Steffen Luik

Richter am Landessozialgericht

- Pressesprecher -

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